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Die Gabentheorie: Warum Geschenke vergiftet sind

Babygroot erhält unpassendes Geschenk. Foto von Erik Mclean

Schenken kann kompliziert sein und es lauern viele Fallen. Geschenke können sogar vergiftet sein. Wie es dazu kommt, erklärt die Gabentheorie von Marcel Mauss.

 

Verflixter Valentinstag

Ausgerechnet im Februar und traurigerweise nach dem Valentinstag trennen sich auffällig viele Paare, wie Studien aus den USA nahelegen. Die hohe Erwartungshaltung an diesen Tag spielt dabei eine große Rolle, aber auch allzu häufig ist ein unpassendes Geschenk an der Tragödie schuld. Schenken benötigt ein feines Fingerspitzengefühl und eine umfassende Reflexion sowie genaue Kenntnisse über die Vorlieben des Partners oder der Partnerin. Eine häufig zitierte Theorie kann dabei das ein oder andere Auge öffnen und uns im besten Falle für die Praxis des Schenkens sensibilisieren.

 

Die Gabentheorie

Der Soziologe und Ethnologe Marcel Mauss schrieb im Jahre 1923 den Essay „sur le don – Die Gabe“. In diesem Werk beschäftigt er sich mit dem Austausch von Gaben in historischen Gesellschaften und weist die Mechanismen hinter einer Schenkungsökonomie auch in unserer Gemeinschaft nach. Im Gegensatz zu unserer herkömmlichen Art der Wirtschaft, in der Waren getauscht werden oder durch Geld den Besitzer wechseln, wird bei einer Schenkung und einem Gabentausch zunächst keine offensichtliche Gegenleistung eingefordert. Allerdings muss hier ebenfalls ein Ausgleich erfolgen, damit kein Ungleichgewicht in der Gegenseitigkeit entsteht (Prinzip der Reziprozität). Was bedeutet es also, wenn man eine Gabe erhalten hat und warum muss man diese erwidern? Welche moralischen Folgerungen entstehen und welche häufigen Tücken und Probleme können dabei auftreten?

 

Das Gift liegt im Ursprung

Von der Auswahl über den richtigen Ton bis hin zur Höhe des Geschenks kann viel falsch gemacht werden. Ein ideenloses oder falsch verstandenes Präsent kann die Beziehung zum Beschenkten belasten und sogar vergiften. Marcel Mauss sah diese potenziell negative Eigenschaft bereits im Ursprung (Etymologie) verschiedener Begriffe. So ist das englische Wort für Geschenk (neben „present“) eben „gift“. Selbst im Deutschen lässt sich bei der „Mitgift“, die traditionell als Schenkung für die Ehe gilt, bereits eine problematische Note erspüren. Denken wir einige Jahrzehnte zurück, so war die Mitgift mitunter entscheidend für die ein oder andere politische und ständische Vermählung, die von Familien arrangiert wurden. Wehe dem, der nichts oder nicht genug mit in den Bund fürs Leben einbringen konnte – unzureichende Geschenke waren pures Gift.

 

Wer ist welches Geschenk wert?

Offenkundig problematisch wird es, wenn entschieden werden muss, wie hoch eine Gabe ausfallen darf oder sogar muss. Wie entscheidet man so etwas? Zu unterschiedlichen Anlässen existieren auch unterschiedliche gesellschaftliche Vereinbarungen (Konventionen). Auf Hochzeiten ist es Brauch eher etwas mehr zu schenken, um den Liebenden einen soliden Start in die Zweisamkeit zu ermöglichen. Bei der Weihnachtsfeier hingegen gilt in der Regel ein recht geringer und zurückhaltender Tausch von Gaben als vornehm. Bei Geburtstagen wird es unübersichtlicher. Ist die Nähe der Freundschaft entscheidend oder doch der Bedarf des Beschenkten? Und was ist dann mit der Schwiegermutter oder noch schlimmer mit dem Vorgesetzten? Häufig „rechnen“ wir uns aus, was ein Geschenk wert sein darf – wir „taxieren“ unsere Freunde, wenn es um Sachgeschenke geht. Kommt es zu einem Ungleichgewicht, indem ein Geschenk deutlich über oder unter dem Wert eines anderen liegt, hagelt es schnell giftige Blicke.

Noch schwieriger: Wir werden selber beschenkt. Was hat das Präsent wohl gekostet und was sagt es über mich aus? Nicht nur, dass wir gut daran beraten wären, denselben Wert auch zurück zu schenken, viel entscheidender ist, dass wir jetzt in der moralischen Verpflichtung sind, die Aufmerksamkeit zurückzugeben. Aufgrund der gesellschaftlichen Konventionen fühlen wir uns schlicht gezwungen, auf ein Geschenk zu reagieren, denn ohne Warentausch mit finanziellen Mitteln geht jemand mit einem Geschenk in „Vorkasse“ – ein Ungleichgewicht, das wieder ausgeglichen werden sollte. Auch dieser Zwang kann den Akt des Schenkens vergiften. Die richtige Reaktion auf ein Mitbringsel ist dabei ebenso heikel. Wie bedankt man sich aufrichtig, ausreichend und anständig? Jede*r kennt vermutlich die Situation mit den eigenen Eltern, die sich bekanntermaßen über alles überschwänglich freuen, aber auch bekannt sein dürfte die Enttäuschung über eine ausbleibende Freude bei Freunden – da ist die Erwartungshaltung wieder das Tückische.

Reziprozität - Foto von Gerd Altmann

Reziprozität – Foto von Gerd Altmann

 

 

Der Potlatch

Schenken kann sogar gefährlich werden, wenn die Gegenseitigkeit (Reziprozität) des Austauschs von Gaben zu einem Wettbewerb führt. Wer ausschließlich auf die finanzielle Wertigkeit eines Präsents schaut, läuft Gefahr, sich bei jedem weiteren Male zu überbieten. Wenn die edle Designertasche und der teure Schmuck nicht mehr ausreichen und sich der Effekt durch die Wertigkeit verschleißt, ist längst ein Teufelskreis in Gang gesetzt. Das Geschenk verliert seinen Charakter als selbstlose Gabe und verkommt zur Darstellung von Macht und Vermögen. Eben jenes erkannte Mauss und hat es in der Geschichte indigener Völker nachgewiesen. Bei dem Volk der „Kwakiutl“ (kanadisches Vancouver Island) dienten Schenkungen unter anderem zur Etablierung von Hierarchien und damit zum gesellschaftlichen Aufstieg inklusive Privilegien und Erhaltung der eigenen Stammesgeschichte. Dabei verausgabten einzelne Familien in dem Fest namens Potlatch auch schon mal ihr gesamtes Vermögen, um den Ahnen zu huldigen und eine höhere Position innerhalb des Volkes einnehmen zu können. Ein nicht gerade nachhaltiger Wettstreit konnte um die höheren Gaben entbrennen, was Marcel Mauss zufolge die Gesellschaft schädigen konnte. So kann die Praxis des Schenkens nicht nur giftig werden, sondern sogar fatal.

 

Wege aus dem Dilemma

Der Essay von Marcel Mauss skizziert natürlich extreme und außerordentliche Situationen des Schenkens, aber mit dem Verständnis hinter den Prinzipien der Gabe lässt sich so manch ein Fehler vermeiden. Wer den Druck hinter der Praxis erkennt, kann diesen auch minimieren und zum Teil gelassener damit umgehen. Nicht umsonst sind viele routinierte Paare längst dazu übergegangen, sich nicht an starren Terminen zu orientieren. Sie übergeben Aufmerksamkeiten, wenn sie sich anbieten oder der Partner oder die Partnerin einen Wunsch geäußert hat. Der Überraschungseffekt ist somit größer und die Geste umso intimer. Die persönliche Natur einer Gabe ist es schließlich, dass stets ein Teil der eigenen Person übergeben wird und man zeitgleich die Erfahrung einer anderen Person an sich selbst erlebt (Fremdwahrnehmung). Über den Wert und den Rahmen eines Präsents lässt sich natürlich kommunizieren – mit den Freunden gleichermaßen wie mit allen anderen. So lässt sich der Falle eines unangemessen hohen oder niedrigen Geschenkes entgehen. Manch einmal ist der Wunsch des zu Beschenkenden auch klar formuliert oder es liegt sogar eine Liste aus, eine Vorgehensweise, die bei Hochzeiten bereits gut etabliert ist. Ein persönliches Geschenk muss selbstverständlich nicht zwangsläufig in Form eines Objektes bestehen. Gemeinsame Zeit zu verschenken erfreut sich daher immer größerer Beliebtheit und wirkt gemeinschaftsstiftend. Die häufigsten Gaben sind jedoch Gutscheine und Konsumgüter. Hier ist der Vorteil, dass die feine Schokolade oder der gut gereifte Wein in der Regel gemeinsam verköstigt wird und so wiederum zur Gegenseitigkeit und zur Geselligkeit führt. Alles was sinnstiftend ist und nicht nur zur bloßen Zurschaustellung von Großzügigkeit dient, ist willkommen. Geschickte Geschenke bedienen gerne gleich zwei Dimensionen. Warum nicht ein Schmuckstück oder etwas ganz Praktisches verschenken, das gleichzeitig noch nachhaltig ist und somit auch unserem Planeten etwas zurückgibt – wohl dem, der weiß, wo es so etwas gibt.

 

Teilt die Theorie!

Mit der Gabentheorie lässt sich gerade auf Geburtstagspartys wunderbar das Eis brechen, aber sie ist als Text (z.B. als Blog 😉 ) vielleicht auch hilfreich, bei einem unpassenden Geschenk zu beschwichtigen oder gar zu versöhnen. Sei dies auch nur ein Trostpflaster, so können Zuwendungen natürlich häufig auch einfach umgetauscht werden oder sie werden weiterverschenkt. Das führt allerdings wieder neue moralische Dilemmata ins Feld, doch wer sich davon nicht aufhalten lässt, der greift auch in böser Absicht zu einem Geschenk – das nennt sich dann Basiliskenei. Marcel Mauss Essay kann auf jeden Fall dabei helfen zu verstehen, was die Praxis des Schenkens und die Gabe an sich selbst so kompliziert machen. Diese Theorie vermag im besten Fall zu einem feineren Gefühl in der Thematik zu führen und kann so durchaus das Gegengift sein. So klappt es dann auch mit dem nächsten Geschenk – selbst im Februar. Euer beeanco-Team (Ulf S.)

 

Foto: Erik Mclean

 

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